“Herrschende Zahlenmenschen”

wiwo_cover_04052015Die Aufmacher-Geschichte ist fast reißerisch. Die Wirtschaftswoche (Ausgabe 19 vom 4. Mai 2015) titelt: “Wir übernehmen! Jeder dritte Dax-Chef war Finanzvorstand. Wohin führt die Herrschaft der Zahlenmenschen?” Ab Seite 82 geht es unter der Überschrift “Graf Zahl” dann los, Anlass der Story ist der Start von Oliver Bäte als Allianz-Vorstandschef, vormals auch Finanzvorstand.

Die Einleitung lässt mich verwundert, fast geschmeichelt, weiterlesen. Da heißt es, 10 von 30 Dax-Vorstandsvorsitzenden seien vorher schon für die Finanzen verantwortlich gewesen und dann nahtlos weiter: “Controller durchschauen alle Konzernbereiche, bewahren in der Krise einen kühlen Kopf und verstehen Investoren. Sind sie aber auch kreativ genug?” – Controller?!

Da soll also wohl das Vorurteil von den “Pedanten, die tolle Ideen mit einem einzigen Blick in die Bilanz ersticken” hinterfragt werden, hoffe ich. Aber Finanzchefs und Controller synonymisch gleichzusetzen, lässt mich geradezu aufhorchen. Das geschieht dann im Text immer wieder, stelle ich bei der Lektüre fest und vermute: Absicht.

Wie dem auch sei: Die Autoren fragen eingangs, ob die “aufgehübschten Karriereaussichten von Controller und Co. die gestiegene Qualität von Deutschlands Finanzern” widerspiegeln, “oder wird die Controller- und Zahlenlogik nun auf Jahre hinaus die Unternehmenswelt plagen? Siegt gar der Einfluss der Kapitalmärkte? Und bräuchten Unternehmen nicht gerade in Zeiten des rasanten digitalen Wandels eher Kreativität als Controlling?”

Wenn auch manches Vorurteil dabei mitschwingt, wird eine ganze Reihe von Stärken aufgelistet, die – nun wieder – “Finanzchefs” mitbringen:

  • durch die Finanzkrise gestärkte Positionen
  • sprechen Sprache der Investoren, Kontakt zu und Vertrauen der Investoren
  • haben Einblick in alle Unternehmensbereiche: “Helikopterblick”
  • versprechen Rationalität und kühlen Kopf
  • gewachsenes, gesundes Selbstbewusstsein
  • immer mehr mit Strategieaufgaben befasst
  • stehen für Sicherheit und Risikobewusstsein
  • wagen auch mal Einschnitte

Das alles prädestiniere aktuell Finanzchefs für den Wechsel auf den Sessel des Vorstandsvorsitzenden, meinen die Autoren. Und auch “Controller”, die hier im selben Atemzug genannt werden…

Dass Controller via CFO- auf CEO-Sessel wechseln, zeigen Beispiele im Internationalen Controller Verein (ICV) eindrucksvoll. Die von der Wiwo genannten Stärken der “Zahlenmenschen” können in der Tat bei Controllern sehr gut ausgeprägt werden – natürlich je nach konkreter Unternehmenssituation, vor allem nach den jeweiligen Manager-Persönlichkeiten, mit denen es die Controller zu tun haben.

CM 3 2015Wie der ICV die Rolle und Karrierechancen des Controllers sieht – und das in Abhängigkeit “seines” CEOs, beschreibt ein Artikel in der brandneuen Ausgabe des “Controller Magazin” (3/2015) von Robert Ottel (Vorstand voestalpine AG/assoziiertes ICV-Mitglied) und Heimo Losbichler (stv. ICV-Vorstandsvorsitzender, Vors. der International Group of Controlling). Aus dem darin gezeichneten Idealbild des Controllers als Sparringspartner bzw. Businesspartner, der “sachlich, frei von Emotionen und unabhängig auf Augenhöhe des Managements agiert”, leiten sie zwei grundsätzliche Aufgaben ab: Controller müssen einerseits das Streben nach Umsatz- und Ertragswachstum unterstützen und andererseits als kaufmännisches Gewissen zum Wohl des Unternehmens eine eigenständige Position beziehen.

Am Ende des Artikels, der vier unterschiedliche CEO-Typen beschreibt und daraus vier verschiedene Auslegungen der Sparringpartner-Rolle ableitet, werden sehr unterschiedliche Karrierechancen für Controller skizziert: von besonders hohen (beim Controller in der Rolle der Lebensversicherung) bis ganz geringen (wo Widerspruch des Controllers mit Ignoranz oder gar Kündigung beantwortet wird).

Lesenswert!

 

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