Rundum gelungene Fachtagung “in stürmischer See” All-round successful conference "in stormy seas"

Aus der traditionellen ICV Nordtagung wurde in diesem Jahr die ICV Nord-Ost-Tagung. Die Arbeitskreise aus der Region Nord veranstalteten sie diesmal gemeinsam mit den Arbeitskreisen der Region Ost am 17. und 18. September 2021 in Schwerin. Dort wurde auch der ICV Newcomer Award verliehen (wir haben berichtet).

Unsichere Zukunft erschwert Prognosen

In der Begrüßung betonten Matthias Wolfskeil, ICV Delegierter für Deutschland Region Nord, und Dieter Meyer, Delegierter für die Region Ost, dass ein unsicheres Zukunftsgeschäft Prognosen erschwere und erhöhte Anforderungen im Sinne von häufigeren Kursänderungen stelle. Der Transformationsprozess verlange von den Controllern, erfolgreich Orientierung zu geben und Kurs zu halten. Das sei allerdings nicht immer einfach: „Niemand hätte jemals den Ozean überquert, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, bei Sturm das Schiff zu verlassen”, so Wolfskeil.

Wie wirtschaftlich sind automatisierte administrative Prozesse?

Im ersten Hauptvortrag berichtete Prof. Dr. Crönertz, HTWK Leipzig, über die „Wirtschaftlichkeitsanalyse automatisierter administrativer Prozesse“ in der sogenannten Hidden Factory. Ausgangspunkt der Entwicklung sind herkömmliche ERP-Systeme über die Robotic Prozess Automation (RPA) bis hin zum Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Bei der RPA werden PDF-Inhalte ausgelesen und in weitere Auswertungen übertragen; in der KI werden Bedarfe auf der Basis von Mustern und Algorithmen ermittelt. Crönertz konzentrierte sich auf die RPA, deren Vorstufe ein entsprechendes Workflow-Management ist. Hierbei ist ein Workflow ein formal beschriebener, ganz oder teilweise automatisierter Geschäftsprozess. Die RPA ahmt menschliche Routine-Arbeiten software-gestützt nach (Einsatz sog. Software-Roboter), beispielsweise die Rechnungserstellung: Daten werden in vorgegebene Rechnungspositionen eingefügt. Mehrwerte der RPA können in Schnelligkeit, Skalierbarkeit, Genauigkeit (Fehlervermeidung), Dokumentationserleichterungen, Mitarbeiterzufriedenheit, Insourcing-Potentialerweiterungen und verbesserter Wirtschaftlichkeit verortet werden.

Freiräume erlauben qualifizierte Analysen

Einsparpotenziale verdeutlichte der Referent anhand eines Beschaffungsbeispiels hinsichtlich Zeitbedarf, Lieferantenauswahl, Kosten im Einkaufsprozess. Besonders wichtig ist laut Crönertz, dass im Controlling damit Freiräume für qualifiziertere Analysen entstehen. Vorgestellt wurde ein Praxisfall zur digitalen Transformation von Finanzprozessen im Bereich Customer Finance der Telekom Deutschland GmbH. Durchgeführt wurde dort eine Nutzwertanalyse. Anwendungsfelder sind insbesondere Inkasso, Fakturaprüfung, Paycards, Rechnungscheck, Finance-Reports. Zu warnen sei aber vor dem Betreuungsaufwand automatisierter Prozesse und der teilweise weiterhin zu beobachtenden Skepsis seitens vieler Mitarbeiter.

Ertragscontrolling 4.0 am Beispiel der Berliner Verkehrsbetriebe

Am Beispiel des in Corona-Zeiten besonders geforderten ÖPNV beschrieben Prof. Dr. Robert Knappe, Jonas Krembsler und Sandra Spiegelberg vom Forschungs-Team ReComMeND das „Ertragscontrolling 4.0 mithilfe von Predictive Analytics (PA)“. Analysiert wurde die BVG. Das Berliner Verkehrsunternehmen hat eine Controllingabteilung mit etwa 20 Mitarbeitern. Basis ist eine monatsbasiert rollierende Prognose, die im Verkehrsverbund VBB auch davon abhängt, wie die Verbundpartner (S-Bahnen, DB Regio) agieren. Kundeninformationen liegen nur begrenzt vor. Einnahmen und Rechnungsabgrenzungen ergeben die Fahrgelderträge. Ziele des vorgestellten Projekts sind vor allem die Optimierung der Prognosemethodik und ein besseres Verständnis der Treibereinflüsse.

Sehr komplexe Ticketstrukturen (Touristentickets, Semestertickets, 300 Fahrscheinvarianten) erschweren den PA-Einsatz. Treiber sind nicht nur Arbeitsmarkt- und Tourismuszahlen und die Bevölkerungsentwicklung, sondern beispielsweise auch Wettereinflüsse, Staumessungen etc. Für das Wetter wurde hilfsweise die Variable “Tage mit Niederschlag im Monat” gebildet. Schwierig sei auch die Erfassung der Pendlerzahlen, insbesondere in Corona-Zeiten.

Die Referentin Spiegelberg stellte das autoregressive SARIMA-Modell zur Ermittlung der BVG-Gesamterträge vor, differenziert nach Abos und Einzeltickets. Corona-Einflüsse in 2020 mussten gesondert berücksichtigt werden, da insoweit keine Lerneffekte aus Vergangenheitsdaten abgeleitet wurden. Bei der rollierenden Prognose war nur nach und nach eine Adaption möglich. Als identifizierte Spannungsfelder präsentierte Knappe ein Auseinanderdriften von

  • Erklärbarkeit und Transparenz vs. Komplexität der Methoden
  • Wirtschaftlichkeit der Methoden vs. hohe Investitionskosten
  • Hoher Automatisierungsgrad vs. Pflege durch Data Scietists
  • Zuverlässige Performance vs. Unsicherheiten bei Schocks

Mögliche Antworten liegen

  1. in Plausibilisierung, Erfahrung, Kulturwandel
  2. in Synergieeffekten durch eine Digitalisierungsstrategie
  3. im Strukturwandel bei Personalqualifikationen und Change Projekten sowie
  4. im Nachlernen des Systems unter Ausräumung möglicher Hindernisse (Grenzen der Methodik, Datenquantität und -qualität, Wandel des Bewusstseins).

Schocks wie Corona seien aber letztlich nicht einzufangen.

Zum Abschluss fassten die Referenten ihre Einschätzungen in 4 Thesen zur PA-Implementierung und Controllingpraxis wie folgt zusammen:

  1. Je reifer der Digitalisierungsgrad des Unternehmens, desto qualitativ besser und wirtschaftlicher wird der Einsatz von KI-Technologien wie z.B. PA gelingen. Das strategische Management des Wandels hin zu einem datengetriebenen Unternehmen ist somit von großer Bedeutung für den nachhaltigen Implementierungserfolg von KI und PA.
  2. Das Controlling gibt einen Teil seiner Aufgaben und Kompetenzen an andere Akteure und Technologien ab, insbesondere in den Bereichen Informationsversorgung und Rationalitätssicherung.
  3. Es findet ein langfristiger und nachhaltiger Change-Prozess statt, der nicht nur die Aufbau- und Ablauforganisation, sondern auch die Management- und Controllingkultur verändert.
  4. Schnelle und kurzsichtige PA-“Insellösungen“ sind wenig erfolgversprechend.

Gute Entscheidung und Führung als weitere Themen

Weitere Themen waren in Schwerin „Die gute Entscheidung als Ziel …“ (Philipp Wicke, TD Trusted Decision, Hannover) sowie „Führen mit Herz und Verstand“ (Lothar Kuhls, WEGe Managementberatung GmbH, Hamburg).

Die Kriterien bei der Entscheidungsauswahl folgen gemäß Wicke der Devise: Angewandtes Wissen ist Macht. Er differenzierte zwischen Entscheidungen mit und ohne Zeitdruck. Kognitive Entscheidungen und intuitive Entscheidungen stehen in einem Sowohl-als-auch-Zusammenhang. Insbesondere bei unbekannten Risiken (VUCA) bedürfen gute Entscheidungen der Intuition und der Anwendung von Heuristiken. Intuition ist gefühltes Wissen, das stark genug ist, um danach zu handeln (ohne genau zu wissen warum). Das Emotionssystem ist nach Wicke schneller als das rationale. In Einklang gebracht entsteht ein kohärentes Weltbild. Kognitive Verzerrungen schränken die Entscheidungsgüte intuitiver Entscheidungen ein, z.B. die Verlustaversion. Controller haben hier u.a. die Aufgabe, diese kognitiven Verzerrungen zu messen.

Der Referent Kuhls regte insbesondere an, in einem Führungskreislauf das Delegieren zu strukturieren und Feedbackregeln zu nutzen. Machtelemente sollten ausgewogen gelebt werden. U.a. sind hier Standfestigkeit, Leidenschaft und Selbstkontrolle von großer Bedeutung. Sein Schlussappell: Mit Mut agieren.

Wir bedanken uns für diesen Tagungsbericht bei Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld!

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